Sechs Prozent, acht Prozent, zehn Prozent

Sechs Prozent, acht Prozent, zehn Prozent

Sechs Prozent, acht Prozent, zehn Prozent: Politiker überbieten sich mit Forderungen nach mehr Wachstum in Bildung und Forschung. Wer garantiert, dass mehr Geld auch mehr bringt?
Doris Leuthard: Die Schweiz gibt im internationalen Vergleich 2,98 Prozent des Bruttoinlandproduktes für Forschung und Entwicklung aus. Das ist im internationalen Vergleich sehr viel – bis 2011 will die EU drei Prozent erreichen. Rein von der Menge her sind wir also nicht so schlecht. Aber die Menge sagt noch nichts über die Qualität aus. Deshalb will der Bundesrat neben den beschlossenen sechs Prozent Wachstum die Bildungs- und Forschungsinstitutionen mit so genannten Masterplänen verpflichten, die finanziellen Mittel auch effizient einzusetzen.

Wo ist noch Luft drin?
Leuthard: Wir haben im Fachhochschulbereich zum Beispiel gravierende Unterschiede, wie viel ein Studierender an verschiedenen Schulen kostet. Der Einsatz der Mittel ist offensichtlich nicht überall gleich. Auch drängen wir auf eine gewisse Mindestgrösse einer Fachhochschule, um gute Betreuung zu sichern, ausgezeichnete Professoren anzuziehen und angewandte Forschung zu gewährleisten. Es gibt auch noch da und dort in den Entscheidgremien strukturelle Überkapazitäten. Gewisse Fachhochschulen sind organisatorisch schwerfällig.

Stichwort Effizienz in der Verwaltung: Es herrscht Konsens, dass nur noch ein Departement für Bildung und Forschung zuständig sein soll.
Leuthard: Ja. Mit der Hochschullandschaft 2012 wird der Zeitpunkt kommen, an dem die Strukturen zusammengelegt werden müssen. Da sind wir uns im Bundesrat einig. Mit der geplanten Hochschulkonferenz wird der Bundesrat Einflussmöglichkeiten haben, die er heute nicht hat. Dann wird es unabdingbar, dass man das Hochschulwesen mit einer einheitlichen Philosophie steuert.

Für den Innenminister ist klar, dass Bildung und Forschung ins EDI gehören.
Leuthard: Diese Meinung teile ich nicht. Ich bin überzeugt, dass Bildung und Forschung eng mit der Arbeit verbunden und wichtige Faktoren für das Wirtschaftswachstum sind. Man spricht immer davon, dass eine der grössten Stärken unserer Wirtschaft die gut ausgebildeten Menschen und der flexible Arbeitsmarkt sei. Bildung, Arbeit und Wirtschaft sind ein Dreibein.

Trotzdem: Wieso nicht die Berufsbildung und den Fachhochschulbereich einfach ins EDI eingliedern?
Leuthard: Theoretisch ist auch dies eine Lösung. Praktisch aber eröffnet sich damit eine Schnittstelle zum Arbeitsmarkt. Das bringt zusätzlichen Koordinationsbedarf zwischen den Departementen, vor allem in konjunkturell schwächeren Zeiten. Das Ziel der Neugliederung muss sein, eine Zuteilung zu finden, welche mehr Synergien und weniger Schnittstellen ergibt.

Bundesrat Couchepin argumentiert, die Wirtschaft denke zu kurzfristig. Bildung sei ein langfristiges Projekt und gehöre deshalb nicht ins EVD.
Leuthard: Die Wirtschaft hat ein ureigenes Interesse, dass sie auf lange Sicht genügend gut ausgebildete Hochschulabgänger und Berufsfachleute hat. Gerade die Demographie zwingt zu langfristigem Denken. Ab 2008 wird die Zahl der Schulabgänger sukzessive sinken. Auch die Wirtschaft muss daher mit der Politik eine langfristige Arbeits- und Bildungsstrategie verfolgen.

Ein weiterer Vorbehalt gegenüber der Wirtschaft kommt aus der Forschungswelt selber. So haben insbesondere Geisteswissenschaftler Angst, die Wirtschaft diktiere nur noch Forschung mit Nutzwert.
Leuthard: Die Wirtschaft kennt die Bedeutung der Geisteswissenschaften, gerade in einer globalisierten Welt. Für die Mittelzuteilung sind Bund, Kantone und die Institutionen zuständig.

Von Bundesrat Couchepin die AHV und die IV zu übernehmen und dafür die Berufsbildung und die Fachhochschulen abzugeben, interessiert Sie also nicht.
Leuthard: Es geht weder um mich noch um Herrn Couchepin. Es geht darum, dass die Neuorganisation zu einem Plus führen soll. Die Zusammenlegung von Bildung und Gesundheit bringt keine Synergien. Und die AHV und die IV vom Rest der Sozialversicherungen wegzureissen, gäbe neue Schnittstellen. Das führte man einmal zusammen, weil man feststellte, dass bei Krankheit oder Unfall eine einheitliche medizinische und versicherungstechnische Betreuung notwendig ist.

Man hört, dass die Mehrheit des Bundesrates auf Ihrer Seite ist.
Leuthard: Der Bundesrat hat noch nicht entschieden. Wir werden im Februar eine neue Lagebeurteilung vornehmen und bis dann sind das EDI und das EVD gefordert, ihre Konzepte zu verfeinern. Pascal Couchepin und ich sind uns einig, dass im Hinblick auf die Hochschullandschaft Schweiz 2012 die Zusammenlegung funktionieren müsste.

Bundesrat Couchepins neuer Staatssekretär für Bildung und Forschung, Mauro Dell’Ambrogio, kommt aus dem Fachhochschulbereich. Ein Präjudiz im Ringen um Bildung und Forschung?
Leuthard: Im Rahmen der Hochschullandschaft 2012 wird auch die Funktion des Staatssekretärs neu diskutiert.

Die Bildungs- und Forschungsbotschaft gilt als fein austarierte Finanzvorlage. Nun fordern einige Ständeräte 200 Millionen mehr für die Fachhochschulen. Was halten Sie davon?
Leuthard: Der Bundesrat hat sich zusammen mit den Kantonen auf den vorgeschlagenen Schlüssel geeinigt. Grundsätzlich stimmt es, dass den Fachhochschulen 200 Millionen fehlen, wenn der Masterplan umgesetzt werden sollte. Aber die Fachhochschulen haben diverse Möglichkeiten, bei den EU- Forschungsprogrammen, beim Nationalfonds und bei der Kommission für Technologie und Innovation zusätzliche Gelder zu holen. Sie müssen sich dem Wettbewerb stellen.

Die Kantone haben auf Finanzierungslücken bei den Universitäten von 280 Millionen und bei der Berufsbildung gar von 600 Millionen Franken hingewiesen.
Leuthard: Es ist klar: Jede Institution möchte mehr. Jeder Kanton möchte mehr. Wir müssen trotzdem anerkennen, dass wir die Bundesmittel beträchtlich steigern, um 3,5 Milliarden. Das sind wesentliche Mittel, die in die Kantone fliessen. Kommt hinzu: Wenn man mehr fordert, dann soll man sagen, wo man streichen soll: bei der Landesverteidigung, bei den Strassen, bei der Landwirtschaft? Fragt man dies aber, dann kommt das lange Schweigen.

Das vom Bundesrat angepeilte sechsprozentige Wachstum kann durch Budgetkürzungen oder Kreditsperren noch ausgebremst werden. Der Ständerat diskutiert einen Antrag, der dies verunmöglichen soll.
Leuthard: Das wäre eine Bankrotterklärung des Parlaments. Denn es selber bestimmt das Budget. Wenn es die sechs Prozent Wachstum jedes Jahr garantieren will, dann hat es freie Hand. Momentan läuft die Wirtschaft gut, wir haben hohe Steuereinnahmen. Wir wissen zwar nicht, wie die Weltwirtschaft in drei Jahren aussieht, aber für nächstes und übernächstes Jahr sind die sechs Prozent Wachstum nicht in Frage gestellt.

FORSCHUNG UND BILDUNG HEUTE DEBATTIERT DER STÄNDERAT ÜBER DIE 20 MILLIARDEN SCHWERE VORLAGE ZUR FÖRDERUNG VON BILDUNG UND FORSCHUNG. BUNDESRÄTIN DORIS LEUTHARD BEKRÄFTIGT IHREN ANSPRUCH, BILDUNG UND FORSCHUNG IN IHR DEPARTEMENT ZU INTEGRIEREN. DIESER BEREICH SEI ENG MIT DER ARBEIT VERBUNDEN UND EIN WICHTIGER FAKTOR FÜR DAS WIRTSCHAFTSWACHSTUM.